Auftritte 2022
«Sache git’s, wo’s gar nid git», Rückblick auf das Konzert vom Freitag 25. November 2022, 20h, Wein-Atelier-Leibacher, Wisegässli 11, 8260 Stein am Rhein
Unter dem Titel «Sache git’s, wo’s gar nit git» werden Sie unweigerlich mit verschiedensten Realitätsebenen konfrontiert, die sich nur schwer unter einen Hut bringen lassen. Das auf dem Konzertflyer abgebildete Orientierungs-Diagramm soll Ihnen behilflich sein, sich in all’ den anspruchsvollen Zwischenbereichen zwischen Etwas, Nichts, gar nichts, «hyperreal», «keine Ahnung», etc., einigermassen zurechtzufinden. Gerade beim Lied von jenem Loch, das beschlossen hat, das Klaffen endgültig aufzugeben, ist es allerdings ratsam, sich nicht allzu sehr an einer bestimmten Realitäts-Fiktion festzuklammern. Aber keine Angst: Niemand wird in dieses seltsame Loch abstürzen, weil es ja – sofern es dem Drehbuch des Liedes folgt – schlussendlich mit dem Klaffen aufgehört hat und somit gar kein Loch mehr ist. Beim Genuss meiner «grenzbereichigen» Lieder hält sich der Nutzen des abgebildeten Realitäts-Diagramms jedoch seinerseits in engen Grenzen: Denn was helfen denn schon die subtilen Realitätsabstufungen dem bedauernswerten Herrn Hungerbüehler weiter, der plötzlich keine AHV-Rente mehr erhält? Und was helfen sie dem unbedarften Hugo, der an jeder «Hundsverlochete» bereitwillig die Rolle des Hundes übernimmt? - Wenn Sie nicht davor zurückschrecken, sich auf Sachen einzulassen, die es gleichzeitig gibt und doch nicht gibt, dann haben Sie dazu an meinem Konzert vom Freitag, 25. November 2022, 20h, im Wein-Atelier-Leibacher, Wisegässli 11, 8260 Stein am Rhein, eine einmalige Gelegenheit.
©Jean-Marc Rossi, Steiner-Anzeiger
Aus Insiderkreisen des Silicone-Valleys wird berichtet, dass innovative Kommunikations-Algorithmiker dort allen Ernstes daran seien, das Unsagbare mit raffinierten digitalen Codierungstechniken zu knacken und linguistisch zu erfassen. Den Einwand, weshalb es denn nötig sei, das Unsagbare sagbar zu machen, entkräften diese «Translinguisten» mit dem schlichten Hinweis, dass man auf dieser innovativen Welt doch alles machen können müsse, was man machen könne, sonst würden es ohnehin andere machen wollen, zumal es ja letztlich darum gehe, auch das Unmachbare machbar zu machen.
Nur einige rückständige Träumer(-innen) – zu denen ich mich allerdings ausdrücklich dazuzähle – warnen davor, sich des Unsagbaren zu bemächtigen, weil das Sagen des Unsagbaren allenfalls unsagbare Folgen für die Sagenden und ihre Hörerschaft haben könnte. Vielleicht gibt es ja einen wichtigen Grund für die Unsagbarkeit des Unsagbaren? Vielleicht ist die Lebendigkeit unserer Sprache davon abhängig, dass es noch ein Unsagbares gibt, das man noch nicht mit dem digitalen Fleischwolf traktiert hat, um es zu einem Geständnis zu zwingen. Vielleicht jedoch - wenn wir auf jegliche Gewalt verzichten - könnte das Unsagbare allenfalls bereit sein, uns in einem zwanglosen Gespräch ein paar wenige Geheimnisse zu offenbaren.
Da nun aber gerade das Unsagbare zu jenen «Sachen» gehört, die zugleich als real und irreal in Erscheinung treten, passt es denn auch gut in den Rahmen meines Konzertes vom Freitag, 25. November 2022 mit dem Titel «Sache git `s, wo `s gar nid git». Vielleicht ist es dort durchaus zu einem vielschichtigen Gespräch mit Ihnen bereit, allerdings nur mit sehr spärlicher Preisgabe von Geheimnissen…
Texte und Illustration im Rückblick auf das Konzert «Nemesis, wie ’s chunnt» vom Samstag, 19. Februar 2022 bei H. Pestalozzi im Rietmann’schen Haus,
Herrengasse 30, 8213 Neunkirch
Kurze Bemerkung zum Titel:
D’ Nemesis isch e griechischi Schicksalsgöttin, d’ Göttin vom gerächte Zorn und vo der uusgliichende Gerächtigkeit, wo der menschliche Überheblichkeit klari Gränze setzt. `S Thema «Nemesis» isch in der hütige Wält überall meh oder weniger sichtbar presänt, und di meischte Lüt wüsse das, aber leider «nemesis» nit gnueg ärnscht.
Und mini Lieder: teilwiis «nemesi’s» Thema «Nemesis» diräkt uf, teilwiis nur ganz subtil und teilwiis so subtil, dass me`s gar nit merkt.
Nemesis – Trigger -Warnung
Wenn man/frau einmal davon absieht, dass Nemesis der Name einer griechischen Schicksalsgöttin ist, lässt die Aufforderung «Nemesis, wie `s chunnt» als Konzerttitel, einen gewissen Verdacht im Raum stehen, dass der Autor des Konzerts die Absicht haben könnte, sich für das, was da kommt, gewissermassen aus der Verantwortung zu stehlen. Dabei wäre der Konzertierende mit dem Herausschleichen aus der Verantwortung im heutigen globalen Umfeld natürlich keineswegs allein. Was die Klimakrise betrifft, so haben sich in der Abstimmung vom 13. Juni dieses Jahres über das Co2-Gesetz ganze 51,6 % der Stimmenden aus ihrer klimapolitischen Verantwortung verabschiedet. Angesichts dieser allgemeinen Zerbröselung von Verantwortung will ich wenigstens für meine Lieder die volle Verantwortung übernehmen, was sich in rechtlicher Hinsicht allerdings als ein äusserst kühnes Unterfangen erweisen könnte. Bei Liedern mit besonderer Spätfolgengefahr werde ich deshalb rechtzeitig eine entsprechende Trigger-Warnung vorausschicken. So besteht z.B. beim Lied über den selbstoptimierungssüchtigen «Herrn Bitterli» die nicht zu unterschätzende Gefahr der Nachahmungstäterschaft, beim Lied «das Lehm» sind wir alle bereits jetzt «Nachahmungstäter». Beim Lied «Sing sing Syngenta» besteht die Gefahr, ins Visier des aggressiven «Aggro-Business» zu geraten, und beim Lied «Briefkastenbrand» ist leider wiederum mit einer gewissen Nachahmungsgefahr zu rechnen, ganz zu schweigen vom Risiko weitreichender intergalaktischer Turbulenzen im Falle einer experimentellen Nachrekonstruktion meines Liedes «Äntli-Unäntli»
Im Bewusstsein solcher Gefahren werde ich, soweit es in meiner bescheidenen Macht steht, alles daransetzen, dass meine Lieder, wenn immer möglich, nur diejenigen Spätfolgen nach sich ziehen werden, die wir uns alle wünschen.
…ein demutsvoll-abgründiger Genuss…
Im Verbreitungsgebiet unseres erdverschleissenden «Mehr-Besser-Schneller-Seinsmodus» lauert das Thema «Nemesis» bald einmal in allen Ritzen der bröckelnden Realität. Nemesis ist bekanntlich die griechische Göttin des gerechten Zorns, der Vergeltung und der ausgleichenden Gerechtigkeit. Wie uns nur allzu bewusst ist, taumelt derzeit die aus den Fugen geratene Wegwerfökonomie scheinbar unaufhaltsam dem Abgrund einer verheerenden Ökonemesis entgegen.
Vordergründig scheint es zwar bequemesis, die Schieflage nicht ernst zu «nemesis» und so weiterzuwursteln wie «ehedemesis». Doch die Nemesis wird mehr sein als ein blosser globaler «Zemeschiss». Schon jetzt macht sie sich ansatzweise bemerkbar mit zunehmend grossflächig blockierender Software-«Problemesis», mit «Überschwemesis», «Hitze-Extremesis», «Pandemesis», und allgemeiner «Beschämesis».
Auch in meinem Liederprogramm lauert das Nemesis-Thema immer wieder – sichtbar oder unsichtbar - im Hintergrund. Ich hüte mich jedoch davor, dieses knochenharte Thema dauernd direkt anzusprechen, so etwas wäre schlicht unerträglich. Zudem soll ein Konzert ja nicht nur knapp aushaltbar, sondern in jeder Hinsicht auch mit einem Genuss verbunden sein. Im Falle meines Konzertes vom 19. Februar 2022 mit einem demutsvoll-abgründigen Genuss im Angesicht der startbereiten Nemesis. In der kühnen Hoffnung, dass wir sie vielleicht doch noch besänftigen und zur Änderung ihres schauerlichen Programms bewegen können.
In diesem Sinne ganz herzliche Grüsse von Fussabdruck zu Fussabdruck…
70 Jahre Lebenswandel – eine immer wiederkehrende Erinnerung an das Jetzt…
Mein heutiges Konzert hier im Pestalozzianum von Neunkirch ist der erste Auftritt, den ich bestreite, nachdem ich mein 70-jähriges Erdenjubiläum hinter mir gelassen habe. Verglichen mit den Zeitdimensionen, mit denen mein derzeitiger Gastplanet Erde üblicherweise zu tun hat, sind meine 70 Jahre so gut wie gar nichts. So sind es noch nicht einmal 200'000 Jahre her, da floss der Rhein nicht den Rheinfall hinab, sondern von Schaffhausen aus gemächlich nach Westen ins Klettgau und dann von dort aus weiter in Richtung Nordsee. Da hätte ich bei gutem Wasserstand von Stein am Rhein her bequem mit dem Schiff nach Neunkirch zu meinem Auftritt fahren können, wenn es Neunkirch, Stein am Rhein und mich damals schon gegeben hätte. Im übrigen hätte ein allfälliges Neunkirch wegen der Rheinuferlage damals wohl eher Rheinkirch geheissen, oder Rheinschamanenplatz, weil Kirchen gab es da ohnehin noch keine. Doch weil dann bald einmal die kalte Riss-Eiszeit diese Rheinlandschafts-Idylle zerriss, gefolgt von der ebenfalls recht kalten Würm-Eiszeit, haben sich viele Menschen in dieser Gegend trotz dicken Bärenfellkleidern erkältet. Das waren bekanntlich die Kelten, und die Gegend hiess Keltgau. Leider war der einzige schreibkundige Keltgauer ein Legastheniker. Seither nennt man das Keltgau irrtümlicherweise Kletgau. Ob diese Theorie historisch haltbar ist oder ob sie nur der überbordenden Fantasie eines 70-jährigen Hobbypaläolithikers entsprungen ist, konnte bisher noch nicht abschliessend geklärt werden. Immerhin, die gähnenden Abgründe der Zeit können unsere Vorstellungskraft auf ungeahnte Weise antreiben.
Je grössere zeitliche Dimensionen wir im Blickfeld haben, umso deutlicher relativiert sich das Gewicht der hier (bei mir) in Erscheinung tretenden 70 Jahre. Schon nur die Zeitdauer seit dem Ende der Migrationswellen des Homo Sapiens aus Afrika nach Europa vor rund 40'000 Jahren (damals gab es noch keine Frontex) ist fast 600 mal grösser als mein derzeitiges Lebensalter. Noch weitaus schwindelerregender ist der Zeitraum seit jenem Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren in Yucatan, der zum weltweiten Aussterben der gigantischen Dinosaurier geführt hat, womit die Säugetiere, und damit schliesslich auch die Urformen der Primaten, erst eigentlich eine Entwicklungschance bekamen. Um die Winzigkeit meiner soeben überschrittenen 70 Jahre noch drastischer darzustellen, versuche ich im Geiste sogar auf die allmähliche Zusammenballung von freischwebend-feuriger Materie zum Planeten Erde vor rund 4 Milliarden Jahren zurückzuschauen. Der durch diese Vorstellung hervorgerufene wohlige kosmische Schauer lässt mich frohen Mutes die Winzigkeit meines Seins feiern. Aus der Perspektive dieser Winzigkeit geniesse ich dann immer wieder die überaus kostbare Einmaligkeit des Jetzt. So blicke ich denn hinaus in die bis auf weiteres rheinlose Rheinlandschaft des Klettgaus und freue mich, der Zeit genüsslich beim Verstreichen zu helfen…
Ch. Brassel, 19.2.22